Medien und Krieg - Wie in vergangenen Kriegen manipuliert wurde, um kriegslüstern zu machen
Unter den Trümmern der Dresden-Debatte liegen die Leichen des Jahres 1999
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 14.02.2005 - "Vergessene Bombenopfer"

Das Gedenken gilt nur denen, die vor 60 und mehr Jahren ermordet wurden. Die Toten der letzten sechs Jahre werden beschwiegen, vor allem die jugoslawischen

Ganz Deutschland trauert. Die eine Hälfte gedenkt der toten Deutschen, die im Zweiten Weltkrieg zum Beispiel in Dresden Opfer alliierter Luftangriffe wurden. Die andere Hälfte gedenkt der toten Juden, die zur selben Zeit zum Beispiel in Auschwitz vergast wurden. Kein Fernsehabend ohne marschierende SS-Leute, den geifernden Hitler, Krematorien vor untergehender Sonne. Guido Knopp, Lea Rosh oder Jörg Friedrich langweilen auf allen Kanälen.

Sieg über den Rest der Zeit

Je weiter das Nazireich in die Vergangenheit entschwindet, um so manischer die Beschäftigung damit. Nie wurde das Leiden der Verfolgten schöner beschworen als von Iris Berben, nie der Führer mehr vermenschlicht als von Bruno Ganz. Nie war Deutschland mehr in die eigene Geschichte vertieft - und die Regierung und das Kapital profitieren davon. Denn wer traut sich im Schatten der Shoa und des sogenannten Bombenholocausts noch solche Banalitäten zu beklagen wie sechseinhalb Millionen Arbeitslose?

Der Sieg der Vergangenheit über den Rest der Zeit geht mit einem Vergessen der Opfer der Gegenwart einher. In den vergangenen zwei Tagen schlugen sich einige tausend Leute in Dresden beinahe die Köpfe über die Frage ein, ob die Stadt vor 60 Jahren zu Recht oder zu Unrecht bombardiert wurde, ob es sich dabei um barbarische Massenvernichtung (so die Nazis), um antifaschistische Befreiung (so die sogenannten Antideutschen) oder um ein bißchen von allem (so die Stadtverwaltung und die Kerzenträger) handelte. Man wünschte sich, daß es eine ähnliche heftige Diskussion und ähnlich gut besuchte Demonstrationen wegen der Bombenopfer der vergangenen sechs Jahre gäbe. Wer beweint die Toten von Belgrad und Novi Sad, von Kabul und Tora Bora, von Bagdad und Falludscha?

Unter den Trümmern der Dresden-Debatte liegen vor allem die Leichen des Jahres 1999 - sie sind noch mehr vergessen als die toten Afghanen und Iraker. Dabei war es gerade die NATO-Aggression gegen Jugoslawien, die ohne die Antreiberei der Bundesregierung nie stattgefunden hätte. »Die Amerikaner waren nicht sehr interessiert, sich auf dem Balkan zu engagieren. Die Europäer haben die Amerikaner gedrängt«, bilanzierte Wolfgang Schäuble im April 1999, auf dem Höhepunkt der Luftangriffe.

Tödliche Politik Schröders

Die NATO bombardierte Jugoslawien 78 Tage lang ununterbrochen. Nach eigenen Angaben wurden 38400 Einsätze geflogen und 23614 Sprengsätze abgeworfen, darunter langfristig radioaktive und toxische Uranmunition im Gesamtgewicht von etwa zehn Tonnen. Zwar flogen US-Jets etwa 95 Prozent der Angriffe, aber speziell ausgerüstete deutsche Tornados waren für Zielaufklärung, Ausschaltung der gegnerische Luftabwehr und Flankenschutz unersetzlich. Trotz dieses Luftterrors gelang es dem Nordatlantikpakt lediglich, 14 Panzer, 18 Truppentransporter und 20 Artilleriegeschütze der Jugoslawen auszuschalten. Gleichzeitig wurden 82 Brücken, 422 Schulen, 48 Einrichtungen des Gesundheitswesens, 74 TV-Stationen und Transmitter sowie zahlreiche Elektrizitätswerke, Fabriken und Straßen zerstört. Nach Angaben der jugoslawischen Regierung starben mehr als 2000 Zivilisten unter den Bomben, ein Drittel davon Kinder und Jugendliche.

Müßte eine gegenwartsbezogene Linke in diesem Land nicht genau das thematisieren - also die tödliche Politik eines Kanzlers, der noch im Amt ist, anstatt jenes anderen, der schon vor 60 Jahren in sein Walhalla flüchtete?

Quelle: http://www.jungewelt.de/2005/02-14/004.php


Weiterer Beitrag zu vergangenen Kriegen:
Sarajewo 5.2.1994 - Bomben für den Frieden
Ralph Hartmann in 'Ossietzky', Ausgabe 8/2005

Alle Beiträge zu vergangenen Kriegen:
Was Bilder beweisen - über die Funktion von Bildern im Krieg gegen Jugoslawien
Artikel von Andreas Neumann, August 2000, aus der Zeitschrift Arbeiterfotografie, Ausgabe 88
Der Informationskrieg
Artikel des Gegen-Informations-Büros zum Thema 'Propaganda und Krieg'
Bilder, sagt man, lügen nicht - oder vielleicht doch?
Artikel von Thomas Deichmann in der Weltwoche vom 9.1.1997
Unter den Trümmern der Dresden-Debatte liegen die Leichen des Jahres 1999
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 14.2.2005
Sarajewo 5.2.1994 - Bomben für den Frieden
Ralph Hartmann in 'Ossietzky', Ausgabe 8/2005

Alle Beiträge zum Fall Milosevic im Überblick:
Milosevic ist schuldig - das steht fest - denn wäre er es nicht, wäre es die Nato
Betrachtungen zu Jürgen Elsässers Buch 'Kriegslügen', Jugoslawien und dem Prozess gegen Slobodan Milosevic
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tagesschau.de zeigt das Propaganda-Bild unkommentiert, 14.2.2002
"Nie wieder Aufklärung - WDR-Dokumentation über den Haager Prozeß gegen Milosevic erhält den Joseph-Goebbels-Preis der Fernsehkritik"
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 3.12.2003 über "die story: Das Tribunal - Angeklagt Slobodan Milosevic", WDR-Fernsehen, 1.12.2003
Scharping, Milosevic und die Amselfeld-Propaganda
Über zwei Zitate und den Vorwurf, Slobodan Milosevic sei ein Nationalist
Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter gegen einen Prozeß der Unfairnis und Verfolgung
Künstler-Appell für Milosevic, verfasst von Robert Dickson (kanadischer Dichter) - Montreal, New York, Moskau, Paris, März/April 2004
NATO-Flop am Amtsgericht
Klaus Hartmann über ein Urteil, das die Sperrung der Spendenkonten für die Verteidigung von Slobodan Milosevic illegal nennt - 'junge Welt' vom 04.03.2006
Milosevic klagt an
Anna Gutenberg über das Buch 'Die Zerstörung Jugoslawiens - Slobodan Milosevic antwortet seinen Anklägern', Zambon-Verlag 2006 - 'junge Welt' vom 04.03.2006
Die Ku-Klux-Klan-Logik zu Den Haag
Rainer Rupp in 'junge Welt' vom 15.03.2006
Nicht in die Knie gezwungen
Ralph Hartmann, ehemaliger DDR-Botschafter in Belgrad, Auszüge aus der Rede zum Gedenken an Slobodan Milosevic, in 'junge Welt' vom 20.3.2006
Der Tod von Milosevic: ein politischer Mord, für den das Opfer verantwortlich gemacht wird
Sarah Flounders (Co-Direktorin des International Action Center, New York), in der Übersetzung aus dem Englischen von Klaus von Raussendorff, 23.3.2006
Mord in Den Haag
Ralph Hartmann in 'Ossietzky' vom 17.3.2006

Alle Beiträge zu Srebrenica im Überblick:
Srebrenica, Frau Albright und die Satellitenbilder
Betrachtungen zu einem 'Massaker', das genau zum richtigen Zeitpunkt kam, 17.3.2005
Die Rolle von Srebrenica im Juli 1995
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 22.09.2003
Fragen, was in Srebrenica geschah, bald strafbar?
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 19.2.2005
Ohne Beweis ein gesichertes Faktum?
George Pumphrey über das 'Massaker von Srebrenica', 1999
'Bilder lügen nicht!' oder: Fand das 'Massaker von Srebrenica' gar nicht in Srebrenica statt?
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Reaktionen auf die Betrachtung 'Bilder lügen nicht!' oder: Fand das 'Massaker von Srebrenica' gar nicht in Srebrenica statt?
Über ein Anfang Juni 2005 'aufgetauchtes' Video, das eine Verbindung zwischen Ex-Präsident Milosevic und den Vorgängen von Srebrenica herstellen soll (Stand: 28.12.2005)
Der Pressekodex gilt nicht mehr
dpa-Journalist und Burda-Vorstandsmitglied kippen das Wahrheitsgebot, 15.3.2006
Ein fragwürdiges Video
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Bitte um Auskunft in Sachen Srebrenica
Eine Anfrage anläßlich der Internationalen Konferenz Bosnien 92-95 vom 2. bis 4.12.2005 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, 21.11.2005
"Gefechtstote werden geleugnet"
Gespräch mit Alexander Dorin in 'junge Welt' vom 10.7.2010
Was geschah in Srebrenica?
Artikel aus Ossietzky 16/2009
Gegen die Manipulation der Wahrheit
Interview mit Alexander Dorin zu Srebrenica, geführt von Kaspar Trümpy (Schweizer ICSM-Mitglied) am 12.09.2012